Schweiz

Kinder unter Stress

Es braucht mehr Zeit zum Spielen: Im Gastbeitrag schreibt Anja Knabenhans, Leiterin Content bei der Schweizer Medienplattform Any Working Mom, warum.

Kinder brauchen Zeit zum Spielen und zum Entdecken, um sich gesund zu entwickeln. © Nina Ruud

«Ich will Zeit für mich!» Sagte nicht ich, sondern mein Sechsjähriger. Bestimmt und in einer gewissen Lautstärke – aber nicht so schrill und überlaut, wie dieser Satz jeweils aus mir herausplatzt. Wenn ich Zeit für mich reklamiere, dann sage ich es meistens einen Tick zu spät. Ich reagiere sehr oft erst dann, wenn mir schon alles zu viel ist und ich nicht mehr ruhig mein Bedürfnis äussern kann. Ich weiss, ich bin nicht allein damit. Viele Eltern erlauben sich erst Me-Time, wenn der innere Druck schon immens ist. Und was machen wir mit unseren Kindern? Schubsen sie ins selbe Hamsterrad, aus dem wir endlich rauswollen. Wir nehmen den Kindern ihre Me-Time weg – in bester Absicht. Kinder sind begeisterungsfähig und wollen vieles ausprobieren. Wir unterstützen das, und erhöhen ungewollt ihren Stress: Sportkurse, Musikunterricht, Playdates, Ausflüge ... alles tolle Dinge, die den Kindern Spass machen. Aber in der Summe einfach recht viel Programm.

«Wir haben das Gefühl, viel zu ermöglichen, dabei verhindern wir auch vieles. Wenn wir unsere Kinder zu stark verplanen, fehlt die Zeit für freies Spiel. Und das ist wichtiger, als viele glauben», sagt Pascale Sahli. Sahli ist Psychologin, ausgebildete Primarlehrerin, Erziehungswissenschafterin und zweifache Mutter. Sie sagt: «Ein Nachmittag zum freien Spielen bringt enorm viel. Spielen führt zu mehr Selbstwirksamkeit.» Selbstwirksamkeit bedeutet: Die Überzeugung, auch schwierige Momente und Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen zu können. Dieses Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten muss erlernt werden. Und das geht am besten übers Spielen. Wenn Kinder aus Decken und Kissen eine Höhle bauen wollen und so lange herumtüfteln, bis die Konstruktion irgendwann hält, dann haben sie Pläne geschmiedet und umgesetzt, ihre Vorstellungen mehrfach anpassen müssen, miteinander diskutiert und nach Lösungen gesucht, Momente der Frustration und des Stolzes erlebt. Dasselbe gilt auch fürs Basteln von Ritterrüstungen, fürs Kreieren ausgefeilter Kugelbahnen, für die Herstellung eines möglichst eklig aussehenden Kuchens, fürs Lösen kniffliger Puzzles und so weiter. Übers Spielen werden auch zahlreiche Fähigkeiten erlernt, die in der Schule notwendig sind, Frusttoleranz, Planungsgeschick, Kommunikationsregeln und mehr. Wenn Kinder nicht Exploration-, Fantasie- und Rollenspiele ausprobieren konnten, fehlt ihnen dann ab sechs Jahren das Know-how für Regelspiele. Und dann ist es schon fast zu spät. Ich tendiere auch zu oft zum Verplanen und bin froh, setzt sich mein Grosser so zur Wehr. Das hilft mir, dem äusseren Druck standzuhalten. «Was haben deine Kinder für Hobbys?», werde ich nämlich häufig gefragt. Und ich fühle mich leider oft unzulänglich, wenn ich sage: Spielen. Obwohl ich genau weiss, dass es das ist, was sie am allerliebsten machen – und was für ihre Entwicklung unglaublich wertvoll ist.

Any Working Mom ist eine unabhängige Medienplattform und Community, die Menschen zu selbstbestimmtem Leben inspiriert: mit einem Onlinemagazin, zwei Podcasts, Videoinhalten, einem Concept Store und einer starken Community auf den sozialen Medien.

Wie mache ich Kinder selbstständig?