Schweiz

«Stabilität wirkt heilend»

Sandra Rumpel erläutert uns Ursachen, Folgen und Behandlungsmöglichkeiten von Traumata.

Was sind Hauptursachen von Traumafolgestörungen bei Kindern und Jugendlichen?
Diese sind leider äusserst vielfältig und fangen an beim Erleben zwischenmenschlicher Gewalt wie Krieg, Folter oder bei anhaltenden Todesängsten um sich selbst oder vertraute Menschen. Am schwersten wiegt die Gewalt – sei es psychisch, körperlich oder sexuell – durch enge Bezugspersonen, von denen das Kind emotional abhängig ist. Dazu kommen Erfahrungen wie Flucht, Entwurzelung, Vernachlässigung und natürlich anhaltende Armut, Hunger oder die Erfahrung von Naturkatastrophen und ihren Folgen.
Wie machen sich Traumata für Aussenstehende, etwa Familie, Freunde oder andere Bezugspersonen, bemerkbar?
Traumatisierte Kinder und Jugendliche zeigen sehr unterschiedliche Symptome. Das kann sich in wiederkehrenden Alpträumen, psychosomatischen Beschwerden und Schlafstörungen äussern, aber auch in Lernschwierigkeiten und Konzentrationsstörungen in der Schule. Auffällig ist auch, wenn Kinder sich plötzlich zurückziehen, ungewohnt schüchtern sind oder zwanghafte
Verhaltensweisen entwickeln. Ein weiteres Anzeichen ist erhöhte Impulsivität: Kinder, die unter Traumata leiden, befinden sich in einem permanenten Alarmzustand. Sie reagieren sehr schnell, können sich oft nicht steuern oder spüren sich kaum. Für sich genommen können diese Anzeichen auch andere Gründe haben oder temporär auftreten. Häufen sie sich oder dauern sie länger an, können dem unverarbeitete Traumata zugrunde liegen. Im schlimmsten Fall geraten Betroffene in einen wahren Teufelskreis, weil permanentes Misstrauen die Einschätzung sozialer Situationen erschwert und wiederum zu auffälligem Verhalten führt.
Bleiben Traumata unbehandelt: Welche Folgen hat dies langfristig für Kinder und Jugendliche?
Je nach Fall ist nicht zwingend eine Therapie nötig. Trost und stabile, vertrauensvolle Bezugspersonen sind jedoch für eine gesunde Verarbeitung unverzichtbar. Je länger das Nervensystem eines Kindes gestresst bleibt und je länger es traumatischen Ereignissen ausgesetzt ist, desto grösser ist der Schaden für seine Entwicklung, sowohl körperlich als auch psychisch. Das soziale, emotionale und kognitive Vermögen gestaltet sich in prägenden Entwicklungsphasen sozusagen um die Traumata herum und beeinflusst so auch die Persönlichkeit des Kindes. Langfristig sind die Folgen unbehandelt gravierend: Neben fehlendem Selbstwertgefühl können Suizidalität, weitere psychische Erkrankungen bis hin ins Erwachsenenleben und psychosomatische Probleme, etwa Herz-Kreislauf-Schäden, auftreten.
Welche Therapieformen haben sich für die Behandlung von Traumata bei Minderjährigen etabliert? Worauf kommt es an?
Zum einen die psychodynamisch-imaginative Traumatherapie. Bei dieser Form wird die Vorstellungskraft der Patient: innen genutzt, um Emotionen zu regulieren und das eigene Selbstwertgefühl wieder aufzubauen. Ebenfalls etabliert hat sich der «Eye Movement and Desensibilisation»-Ansatz, bei dem mittels rhythmischer Augenbewegungen unter Anleitung eine Verarbeitung stattfindet. Entscheidend bei jeder therapeutischen Behandlung sind jene Ansätze, die dem Kind eine langfristig verlässliche Beziehung anbieten. So erhalten Betroffene die Chance, wieder (Selbst-)Vertrauen und eine stabile Persönlichkeit aufzubauen.

Sandra Rumpel, lic. phil., ist Psychotherapeutin sowie Dozentin und Supervisorin für angehende Kinder- und Jugendlichentherapeut:innen, u.a. an der ZHAW. Ihre Spezialisierung liegt auf der Traumatherapie und der transkulturellen Psychotherapie. Sie ist Mitgründerin und heute Co-Leiterin des gemeinnützigen Vereins family-help und seiner therapeutischen «aacho»-Projekte in Zürich für geflüchtete (Klein-)Kinder, Jugendliche und Familien.

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