Weltweit

Stigmata stoppen

Mehr als 15 Millionen elternlose Kinder leben nach aktuellen Schätzungen auf der ganzen Welt. SOS-Kinderdorf ermöglicht diesen Kindern eine bessere Zukunft und versucht zugleich, das Stigma des Verlassenseins zu entkräften.

Dass die Anzahl an Kindern ohne elterliche Betreuung weltweit teils auf Schätzungen statt konkreten Belegen beruht, spricht Bände. Vielerorts fehlt es für diese Kinder an Unterstützung und grundsätzlich an einem Bewusstsein für deren Lage, Bedürfnisse und Erfahrungen. Die UN-Richtlinien zur alternativen Betreuung von Kindern, an denen SOS-Kinderdorf aktiv mitgearbeitet hat, machen umfassende Empfehlungen zur Unterbringung und Begleitung von elternlosen Kindern. In der Realität hapert es jedoch noch an deren Umsetzung.

Neben tragischen Einzelfällen gibt es regional und national geprägte, spezifische Ursachen, die für neue Wellen, man könnte auch sagen Generationen, an Kindern ohne Eltern sorgen. Beispiele hierfür sind die Aids- und Ebola-Epidemien, die zahllose Leben kosteten und Kinder allein zurückliessen. Ebenso bedeutsam als Ursache sind wirtschaftliche Gründe, die Eltern zwingen, ihre Heimat auf der Suche nach Arbeit und einer besseren Zukunft zu verlassen. Verzweifelt und zum Äussersten getrieben lassen sie ihre Kinder zurück. Nicht aus Egoismus, sondern weil sie keinen anderen Ausweg sehen und den Kleinen die oft lange und gefährliche Reise nicht zumuten möchten.

Auf den Verlust der Eltern folgt oft eine tragische Entwicklung in mehreren Akten. Das Fernbleiben von der Schule, die Verkümmerung sozialer Fähigkeiten und ein späteres Abrutschen in die Kriminalität. Erika Dittli, Programmleiterin bei SOS-Kinderdorf, betont die Bedeutung von Bildung: «Ohne Schule geht nichts. Nicht nur die Kinder müssen gestärkt werden, auch die Schulen müssen im Umgang mit diesen Fällen gefördert werden.» In den eigenen Kinderdörfern sensibilisiert das Hilfswerk seine Betreuungsfachleute für die Rechte und Möglichkeiten, welche die Kinder haben. Das Ziel muss es sein, betroffene Kinder vom Stigma des Verlassenseins zu befreien. Erika Dittli erläutert die verschiedenen Formen der Diskriminierung, die viele Waisenkinder erfahren: «Vielfach wird ihnen ihr Erbe vorenthalten. Sie erleben Gewalt und Ausbeutung, oft haben sie keinerlei Mitspracherecht über ihr Schicksal. Von Traumata, die zu bleibender Verletzbarkeit führen, ganz zu schweigen. Aber es gibt auch unerwartete Arten der Diskriminierung: Überzogenes Mitleid kann schädliche Formen annehmen, wenn Betroffenen jegliches Können aberkannt wird und sie unter Bevormundung leiden.»

Oft fehlt es vor Ort an Modellen mit familienähnlicher Betreuung sowie den materiellen und personellen Möglichkeiten, diese angemessen umzusetzen. Mit den Programmen zur Familienstärkung beugt das Hilfswerk dem Verlust der Eltern vor, und in den SOS-Kinderdörfern bietet es Kindern, die keine Bezugsperson mehr haben, ein liebevolles, geschütztes Zuhause, das ihre Rechte gewährleistet.

Bild: Kinder wie die kleine Malika (3) aus dem Niger, die ihre Familie verloren haben, brauchen ein liebevolles Zuhause.


Schweiz

Andauernde Aufarbeitung

Das Schicksal der Verdingkinder markiert ein dunkles Kapitel der Schweizer Geschichte, das als Warnung
für die Zukunft dienen muss.

Bis 1981 wurden Schätzungen zufolge mindestens 60 000 Kinder Opfer der unwürdigen Verdingpraxis. Ohne Bezugspersonen, weggegeben und in einigen Fällen den leiblichen Eltern entrissen, mussten sie in ihrem neuen Zuhause, das einen solchen Namen kaum verdient, Zwangsarbeit ohne Gehalt und oft unter körperlicher und psychischer Gewalt verrichten. Viele ehemalige Verdingkinder leiden nach wie vor unter der Last der Erfahrungen und trauen sich nicht, diese öffentlich zu machen. Kindern ihre Rechte, ihre Entscheidungen und die Chance auf eine faire Zukunft derart zu entreissen und zu verweigern, gilt es unbedingt für alle Zeiten zu verhindern.